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L.A.Crash

Daten

187 Min. (70 mm), USA 2015

REGIE: Quentin Tarantino
DREHBUCH: Quentin Tarantino
KAMERA: Robert Richardson
SCHNITT: Fred Raskin
MUSIK: Ennio Morricone
Kostüm: Courtney Hoffman

DARSTELLER: Jennifer Jason Leigh, Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Walton Goggins, Tim Roth, Michael Madsen, Demiàn Bashir etc.

Foto: Universum Film

 

Regie: Quentin Tarantino


Kinostart: 28. Januar 2016

 

Inhalt:

 

Einige Jahre nach dem Bürgerkrieg ist der Kopfgeldjäger John Ruth (KURT RUSSELL) mit seiner Gefangenen Daisy Domergue (JENNIFER JASON LEIGH) in einer Kutsche durch die Winterlandschaft von Wyoming unterwegs. Sein Ziel ist die Stadt Red Rock, wo er die Schurkin an die Behörden ausliefern und seine Entlohnung abholen will. Auf dem Weg begegnen ihm ein zweiter Kopfgeldjäger Major Marquis Warren (SAMUAL L. JACKSON) und der „Redneck" Chris Mannix (WALTON GOGGINS), der behauptet der neue Sheriff von Red Rock zu sein. Wegen eines aufkommenden Blizzards suchen die Reisegefährten Zuflucht in „Minnie's Haberdashery", einem Zwischenstopp am Gebirgspass. Dort treffen sie auf den Mexikaner Bob (DEMIAN BESHIR), den Henker von Red Rock Oswaldo Mobray (TIM ROTH), den General der Konföderationsarmee Sanford Smithers (BRUCE DERN) und den mysteriösen Joe Gage (MICHAEL MADSEN), der nichts über seine Herkunft verraten möchte. Die verschiedenen Interessen und Weltanschauungen der Herrschaften und der Dame führen zu Misstrauen und Feindseligkeiten in der Hütte und enden wie in jedem guten Western in einem beispiellosen Blutbad.

 

 

Kritik:

 

Mit jedem weiteren Film scheint Quentin Tarantino immer tiefer in die Geschichte des Films und der Gesellschaft einzutauchen und dabei verschiedene klassische Genres abzuarbeiten. So fing er mit dem Gangsterfilm („Reservoir Dogs“ 1992, „Pulp Fiction“ 1994) an, ging über zum Martial-Arts-Film („Kill Bill Vol. 1 und 2“ 2003, 2004), griff das Kriegsfilmthema der Nazi-Zeit in „Inglorious Basterds“ 2009 auf, um dann bei den Ursprüngen des amerikanischen Westerns mit „Django Unchained“ 2012 einzukehren. Tarantinos neuer Western „The Hateful 8“ hebt sich durch einen klassischeren Stil und einer Hingabe zur genrespezifischen Bildsprache von dem Vorgänger ab. Gedreht wurde der Film mit einer Panavision 65 HR und Arriflex 765 auf 70 mm, was dem Zuschauer ein riesiges westerntypisches Panorama bietet. So wirken die winterlichen Totalen und die überdimensionalen Detailaufnahmen besonders unausweichlich intensiv. Die einzelnen Einstellungen bei den Shootouts und die Kamerafahrten durch die winterliche Wildnis orientieren sich sehr an den klassischen Western wie „The Good, the Bad, the Ugly“ (1966) oder dem Winter-Western „Il grande silenzio“ (1968) mit Klaus Kinski. Manche sagen Tarantino sei hier zu seinem Ursprung zurückgekehrt. Und da ist etwas dran, denn der Film ist wie bei „Reservoir Dogs“ durch die Begrenztheit des Raumes auf die unmittelbaren Interaktionen der (ungefähr) acht Figuren fokussiert. Auch die fesselnden, intelligenten Dialoge lassen an die Ursprünge der Tarantinofilme denken. So entsteht das Gefühl, dass alle Kritiker, die dem Film „Verbiage“ unterstellen, Tarantino erst seit „Inglorious Basterds“ kennen oder mögen.

 

Jedoch wäre Tarantino nicht Tarantino, wenn er den Erwartungen des begnadeten Zuschauers nachkommen würde (weshalb ich „Django Unchained“ auch nicht für den besten Film seiner Handschrift halte). So überrascht er in "The Hateful 8" durch einen Bruch in der linearen Erzählung. Mitten in der gemütlich vor sich hin brühenden Hütten-Atmosphäre wird ein Voice-Over einbaut, das der Regisseur selbst spricht. Das intrigiert das Publikum, erzeugt Spannung und erhebt den Zuschauerblick unweigerlich auf die Metaebene des Beobachters. Der Erzähler gibt dem Zuschauer im Off durch eine Rückblende einen Clue, was demnächst passieren wird. Es ist eine Hand im schwarzen Handschuh zu sehen, die eine Missetat vollbringt. Natürlich führt dies dazu, dass jeder aufmerksame Beobachter die nächsten Szenen sorgfältig nach schwarzen Handschuhen absucht. Und siehe da: Fast alle Figuren tragen schwarze Handschuhe!

 

Der Regisseur hat sichtlich Spaß daran, mit der Aufmerksamkeit und den Erwartungen des Zuschauers, die auf gewohnten Erzählstrukturen basieren, zu spielen. So verlagert sich auch die Sym- und Antipathie fließend von einer Figur auf die nächste. Zunächst erscheint Major Warren als ein aufrichtiger, durch den Rassismus der jungen USA geknechteter Underdog. Verkörpert wird der Rassismus zunächst typischerweise von dem "Redneck" Chris. Die Identifizierung mit Major Warren verfliegt jedoch im Laufe des Films immer mehr und spätestens dann völlig, als Warren Bob aufgrund seiner mexikanischen Herkunft erniedrigt. Obwohl Tarantino hier einerseits mit der Western-Tradition bricht, die Geschichte der Afroamerikaner unerwähnt zu lassen, bricht er zugleich auch die neuere Hollywoodtradition, Afroamerikaner und andere unterdrückte Minderheiten der US-amerikanischen Gesellschaft als Ausgleich für die historischen Ungerechtigkeiten zu Helden zu stilisieren. Jemand, der verzweifelt nach einem Charakter sucht, mit dem er sich völlig identifizieren kann, ist hier definitiv falsch. In der Hütte ist die Antipathie, die man gegenüber den Figuren empfindet, über den Film hinweg fast gleichmäßig verteilt, was die Charaktere trotz des stereotypierten Western-Rahmens überraschend menschlich macht.

 

Und auch da hört Tarantino nicht auf, den Zuschauer zu überlisten und sich ein wenig über die Gesellschaft und ihre Normen lustig zu machen. Eine herausragende Rolle wird in „The Hateful 8“ der einzigen Frau, der Bandenanführerin Daisy, zuteil, die von Jennifer Jason Leigh auf eine beeindruckende Art und Weise verkörpert wird. Hier pfeift der Regisseur wieder auf alle Traditionen und Gepflogenheiten. Im Western haben sich die Frauenfiguren nur auf die Rolle der Frau als Mutter, Geliebte oder Hure beschränkt. Daisy ist jedoch die Anführerin einer Gangstergang, was so in einem klassischen Western undenkbar wäre. Eine starke Frauenfigur allein ist für Tarantino keine Neuerung, denn er ist bekannt für seine emanzipierten Frauenbilder wie sie in "Jackie Brown" (1997), "Kill Bill" (2003) und "Death Proof" (2007) zu sehen sind. Daisy erfährt hier aber eine progressive Charakterisierung der Frau als „Mensch“: Gespielt wird einerseits mit ihrer physischen Unterlegenheit, als sie immer wieder von John aus Jux und Laune geschlagen wird, und danach à la Slapstick schnieft und aufheult. In diesen Szenen kann das Lachen des Publikums merkwürdig enthüllend sein. Gleichzeitig ist Daisy eine unzerbrechliche Profi, die es faustdick hinter den Ohren hat. Das Zusammenspiel von ihrem mal von Wahnsinn, mal von Berechnung erfüllten Blick und dem trotz der Blutkruste schön wirkendem Lächeln, ohne dass sie in einer einzigen Szene sexualisiert wird, macht sie zu einer sehr lebendigen und progressiven Frauenfigur, die ich so noch nicht aus meiner Filmerfahrung kenne.

 

Von vielen wird angeprangert, dass der Film sich mit fast drei Stunden zu sehr in die Länge ziehe und Tarantino ihn ruhig hätte um eine Stunde kürzen können, ohne dass es etwas an der Story geändert hätte. Ich glaube jedoch, dass jede Sekunde dieses Films genau so intendiert ist und diese Länge erst den richtigen Effekt erzeugt. Und dieser Effekt bewirkt, dass der Zuschauer anfängt, über den Film und auch über seine eigene Rezeption nachzudenken. Allein die erste Einstellung signalisiert, dass dieser Film sich Zeit lässt und mit der Geduld des Zuschauers spielt. So wird am Beginn zunächst ein grob aus Holz geschnitztes Gesicht in einer Detailaufnahme sichtbar. In einem sehr langsamen Tempo zoomt die Kamera aus dem Gesicht heraus. Langsam wird immer deutlicher ein überdimensionaler Holzschnitt eines gekreuzigten Jesus erkennbar.

 

Rein zufällig ist dieses Symbol sicher nicht gewählt. Denn die Charaktere und das Geschehen, die dem Zuschauer im Film dargeboten werden und als Spiegelbild der Gesellschaft und seiner Selbst dienen, haben nichts „Heiliges“ an sich. Besonders deutlich wird dies, als Daisy gegen Ende „Jesus Christ“ ruft und sofort von Major Warren darauf aufmerksam gemacht wird, wie lächerlich diese Worte aus ihrem Mund klingen. Somit kehrt Tarantino mit "The Hateful 8" nicht nur zu seinen Ursprüngen zurück, er hat sich vielmehr über seine Ursprünge hinaus weiterentwickelt und ist als Regisseur gereift. Der Plot und die kinematographische Aufmachung orientieren sich am typischen Western und das Ende des Films, soviel darf verraten werden, entspricht ebenfalls den Genreerwartungen eines Kenners. Und trotz des köstlich subtilen und gekonnt unverhohlenen Humors bleibt zum Schluss ein mulmiges Gefühl des Sinnverlustes, weshalb "The Hateful 8" weit mehr abgewonnen werden kann als mancher glaubt.

 

Gesehen von Anna Cvetkov

 

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