Zu den großen Herausforderungen an Filmsets gehören sich überlappende Dialoge. Wie nimmt man die auf? Im richtigen Leben kommt es häufiger vor, dass Menschen einander ins Wort fallen. Sie sind wenig rücksichtsvoll, wenn es darum geht, einander aufmerksam zuzuhören und auf das Gesagte wohlüberlegt zu antworten. Bestimmte Situationen, wie etwa Familienfeiern, oder bestimmte Kulturkreise, etwa Europas Süden sind geradezu prädestiniert für viele, durcheinanderredende Menschen gleichzeitig. Man denke nur an die großartigen Familienszenen beim Essen der Ministrone in Federico Fellinis "Amacord" (Italien 1973).
Nun ist das genau das Gegenteil von dem, was Tonmeister, Editoren an Schnittplätzen oder Mischmeister in den Tonmischungen gebrauchen können, um einen technisch vernünftigen Ton abliefern zu können. Die wünschen sich alle Stimmen separiert auf verschiedenen Tonspuren. Mehrere Tonspuren sind wichtig, um die Dialoge jedes Schauspielers separat aufzunehmen. Dadurch wird eine bessere Kontrolle und Bearbeitung des Tonmaterials in der Postproduktion sichergstellt. Nur dann sind Sie nämlich dazu in der Lage, die Einstellungen sinnvoll zu schneiden.
Das bedeutet vor allem, dass nicht nur die Stimme jede-r Schauspieler*In auf einer eigenen Tonspur aufgenommen werden muss, sondern auch, dass man auf dieser Spur die Stimmen der anderen Schauspieler nicht hören darf. Besonders letztere Vorgabe hat dazu geführt, dass an Filmsets seit über einem halben Jahrhundert das Dogma vorherrscht, dass Schauspieler*Innen nicht ineinander, sondern nur nacheinander sprechen dürfen. Das gilt auch für Szenen, in denen sie eigentlich gleichzeitig sprechen sollen. Das Übereinander der Stimmen wird kontrolliert erst im Bild,- und Tonschnitt so hergestellt.
Diese Produktionsweise hat natürlich Konsequenzen für das Spiel. In den meisten Fällen gilt die Regel, dass die Schauspieler*Innen sich nicht ins Wort fallen, also nacheinender reden müssen. Das nimmt bereits eine gewisse Dynamik aus den Situationen heraus. Gar nicht selten verlangsamt es die Szenen, macht sie zäher und unrealistischer.
Am Set
Wie sollen die Tonleute sich verhalten und wie kann man angesichts heutiger technischer Möglichkeiten, mit derartigen Situation kreativ umgehen? Nun eine wichtige Voraussetzung leigt in der engen und verantwortungsvollen Zusammenarbeit zwischen Ton und Regie in diesen Fragen. Tonleute am Filmset werden problematische Überlappungen im Ton stets nur der Regie, nicht aber den Schauspielern sagen. Es ist die Pflicht der Tonmeister, den Regisseuren mitzuteilen, wenn es einen sich überschneidenden Dialog gibt, damit sie entscheiden können, ob sie eine Wiederholung für einen saubereren Dialog drehen möchten.
Ton und Regie stehen in der Verantwortung, auch an den Schnitt zu denken. Letztlich ist es irgendwo eine Entscheidung der Regie, ob sie auf den Schnitt Rücksicht nehmen will. Es nicht zu tun, ist unprofessionell, doch es bleibt eine Regieentscheidung.
Regisseure sollten bereits in der Auflösung und Vorbereitung an den späteren Schnitt denken und so drehen, dass sie das Material auch gut schneiden können. Sie wissen schon beim Drehen, wo die Umschnitte liegen könnten. Damit wissen sie auch, wo die Dialoge sauber getrennt sein müssen und wo eine Überlappung unproblematisch wäre, etwa weil man es mit einem One-Taker, also einer Szene in einer Einstellung zu tun hat. Oder weil man genau weiß, dass die Überlappung ungeschnitten in einer Einstellung mit beiden Schauspieler*Innen (Zweier) verwendet wird.
Dialog- oder Filmeditoren müssen oft kreative Wege finden, um einen überlappenden Dialog zu schneiden. Manchmal lassen Regisseure den Dialog bewusst überlappen, um eine bestimmte Montage zu erzwingen, insbesondere, wenn sie selbst gar nicht beim Schnitt dabei sein werden.
Schauspieler
Schauspieler sind häufig nicht so glücklich damit, das sie nicht übereinander reden dürfen, es ärgert sie regelrecht, weil es unnatürlich ist. Will man Überlappungen möglich machen, ist eine möglichst gute Platzierung der Lavaliers und eine gewisse Disziplin beim Angeln und der Planung der Aufnahme notwendig. Man muss vorher festlegen, welcher Teil der Überschneidung mehr gehört werden oder besser verständlich sein muss. Normalerweise ist eine der beiden Dialogzeilen die sich überschneiden wichtiger als die andere. Dann kann man den Schauspielern, deren Teil unwichtiger ist, die Anweisung geben, diesen Teil leiser zu sprechen, damit er nicht im Lavalier des oder der anderen Schauspieler*In hörbar ist.
Das Ganze ist nicht so einfach, eine Herausforderung für Timing und Inszenierung: Die Schauspieler müssen dafür ihre Dialoge so synchronisieren, dass sie sich natürlich und organisch überlappen. Dafür sind genaue Proben und eine genaue Koordination während der Aufnahme erforderlich. Sie müssen bei der Aufnahme sehr sorgfältig choreografiert und aufgenommen werden, damit man eine natürliche und fließende Interaktion zwischen den Filmfiguren erzeugen kann.
Tipp
Eine Technik, wie man einerseits reale Überlappungen im Bild drehen und andererseits dem Schnitt und der Vertonung helfen kann, besteht darin, dass man im Bild eine echte Überlappung dreht. Anschließend dreht man mit Bild, oder auch ohne als Nurton, noch ein, zwei weitere Takes der gleichen Einstellung, bei denen man den Schauspielern die Anweisung gibt, diesmal zwischen den Dialogteilen abzuwarten, also den jeweils anderen aussreden zu lassen. Man muss diese Takes dann nicht zwingend im Bild verwenden, es hilft den Toneditoren aber sehr, wenn sie die letzten Worte oder auch nur Silben der Schauspieler verwenden können um den Dialogteil doch separat legen und bearbeiten zu können.
Dafür ist es natürlich eine wichtige Voraussetzung, dass die Schauspieler vom Timing, Lautstärke und Duktus genauso wie in den Takes mit den Überlappungen sprechen, damit die Aufnahmen so nah wie möglich an die gewünsche Aufnahme herankommen.
Wenn man diese Tipps und technischen Vorgaben beachtet, steht dynamischen und realistischen Dialogaufnahmen nichts mehr im Wege.