Regie: Axelle Ropert, Frankreich 2021
Dauer: 86 Minuten, Filmfest München in der Reihe "Cine Masters"
Ein tristes Schulgebäude, Schüler strömen hinein, ein Klassenzimmer, niemand meldet sich freiwillig, aus dem Gedicht vorzulesen, da wird die 13 jährige Solange aufgefordert. Sie zögert, erhebt sich, öffnet das Buch, zögert wieder, setzt sich ohne zu lesen wieder hin. Solange,- stimmt etwas nicht? fragt die Lehrerin.
Ein Zeitsprung. Wir sehen zum ersten Mal die Eltern und das Zuhause von Solange, die Eltern haben Freunde und Familie eingeladen, weil sie seit 20 Jahren verheiratet sind. Solange liebt ihre Eltern, sie sind ihr ein starkes Vorbild. Eine klassische Coming of Age Geschichte könnte das werden, doch dann wird langsam klar, dass die Eltern sich trennen werden. Antoine, Solanges Vater, ein Gitarrenhändler interessiert sich zunehmend für einen Angestellten, Aurelia, ihre Mutter und eine Theaterschauspielerin lebt für ihre Arbeit. Sie vergräbt sich förmlich darin. Doch die Risse in der Beziehung werden immer tiefer. Sogar das gemeinsame Haus soll verkauft werden.
Für Solange stürzen bislang gefestigte Vorstellungen von den Eltern, der Welt und der Liebe in sich zusammen und sie versucht, irgendwie damit zurecht zu kommen. Ihr älterer Bruder Romain ist ihr da keine große Hilfe, er plant, zur Schule nach Madrid zu gehen.
Während sie all das zunächst nur passiv erleidet, versucht sie zunehmend auf die um sie herum geschehenden Prozesse Einfluss zu nehmen. Und sie rebelliert auch. Etwa als sie bei dem Diebstahl eines viel zu großen Büstenhalters erwischt wird und auf einen zutiefst verständnisvollen Ladenbesitzer stößt. Irgendwie sind alle überfordert mit der Situation, die Eltern, aber auch Solange und ihr Bruder.
Regisseurin Axelle Ropert fängt tragische, manchmal unfreiwillig heitere Momente ein und hat mit der Hauptdarstellerin Jade Springer eine sensible und berührende Solange besetzt und inszeniert. Von der Erzählform und visuellen Anmutung erinnert der Film an viele andere französische Kinofilme der Achtziger und Neunziger Jahre, sehr interessant ist der Musikeinsatz, der zwischen Filmmusik und der real im Bild sichtbar entstehenden Musik (Plattenspieler, Radio, Klavier) virtuos hin und herspringt.
Trennungen sind für alle Beteiligten meistens furchtbar und gerade die Kinder und Jugendlichen leiden oft im Stillen. Der Film ist feinsinnig und sehr glaubwürdig authentisch inszeniert und nimmt die Sorgen und Nöte sowohl von Solange als auch ihren Eltern ernst. Petite Solange ist sehr klassisch erzählt, aber vielleicht ist das auch genau das Richtige, um sich intensiv auf das Innenleben von "Petite Solange" zu konzentrieren.
Am Ende des Filmes, sie wird 14, ist sie notgedrungen reifer geworden. So formuliert Solange vor ihrer Familie, was sie will und ein letztes Mal nimmt die Musik es in die Hand, die Überwältigung aller fühlbar werden zu lassen.
Gesehen von Mathias Allary