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Daten

Die Mafia mordet nur im Sommer

90 Min., Komödie, Italien 2013

REGIE: Pierfrancesco Diliberto

DARSTELLER: Pierfrancesco Diliberto, Cristiana Capotondi, Alex Bisconti, Ginevra Antona, Claudio Gioè, Barbara Tabita, Rosario Lisma, Enzo Salomone, Maurizio Marchetti, Antonio Alveario, Antonino Bruschetta

 

Regie: Pierfrancesco Diliberto

Kinostart: 04. Juni 2015

 

Inhalt:

 

In den 70er Jahren in Palermo geboren und aufgewachsen, ist der junge Arturo quasi von Beginn an umgeben von den Verbrechen der Mafia. Sich von seinen Eltern unverstanden fühlend, ernennt er stattdessen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti zu seinem Idol. Als er sich in seine Schulkameradin Flora verliebt, versucht er mit allen möglichen Mitteln, sie zu beeindrucken - aber stets kommen ihm entweder ein arroganter Nebenbuhler in die Quere oder schicksalhafte Ereignisse, die auf das Konto der Mafia gehen. Der Drang nach besserem Verständnis für die Beziehungen zwischen der Verbrecherorganisation und der Politik seines Landes wird für ihn zu einer Art kleiner Obsession, weswegen er - angestachelt von einem bei ihm in der Nachbarschaft wohnenden Journalisten - zu Block und Stift greift und sich auf kindlich-forsche Art erfolgreich zu namhaften Politikern und Gesetzeshütern durchfragt.

 

Kritik:

 

Palermo, die Hauptstadt Siziliens, galt schon immer als Hochburg der Mafia und war damit im Laufe ihrer Geschichte wiederholt Schauplatz brutaler Anschläge und blutiger Exekutionen. In den 80er Jahren tobte zwischen mehreren verfeindeten Clans ein rücksichtsloser Bandenkrieg, der einer Menge Menschen den Tod brachte und die Anzahl noch lebender Mafiosi erheblich schrumpfen lies. Einer der größten Nutznießer dieser Ereignisse war Totò Riina, der sich im Anschluss die Kontrolle über die Organisation sichern konnte und in dessen Auftrag nun auch vermehrt Staatsdiener aus den Bereichen Justiz, Politik und Polizei ermordet wurden. Als Reaktion darauf wurden die Anstrengungen zur Verbrechensbekämpfung drastisch erhöht, was mehrere offizielle Mafia-Jäger hervorbrachte - die natürlich allesamt auf der Abschussliste standen und deshalb oftmals nicht an Alterschwäche starben. Terror- und Gewaltakte gehörten somit (speziell in den 70er und 80er Jahren) für die Bürger Palermos quasi zum Alltag. Im Jahre 2013 kam der in Italien sehr bekannte und politisch engagierte Satiriker Pierfrancesco Diliberto auf die nicht gerade naheliegende Idee, dieses Thema zum Gegenstand einer ironischen Kino-Komödie zu machen.

 

Dazu bediente er sich allerdings keines klamauklastigen Holzhammer-Humors, sondern schilderte die Ereignisse stattdessen behutsam und nostalgisch verklärt aus der naiven Sicht eines arglosen Jungen. Arturo, so dessen Name, berichtet als Erwachsener aus dem Off, auf welche Weise das Wirken der Mafia bereits in seinen Jugendjahren immensen Einfluss auf sein Leben und sogar seine Zeugung hatte: Während seine Eltern ihren ehelichen Pflichten nachkommen, richten ein paar Mobster in der Nachbarschaft ein lautstarkes Massaker an. In einer an den Vorspann "Kuck mal, wer da spricht"s erinnernden Animationssequenz wird gezeigt, wie sich fast alle Spermien ob des plötzlich gestiegenen Lärmpegels erschrocken zurückziehen. Nur die, aus der später einmal Arturo entstehen soll, bekommt von alledem nichts mit und gelangt so unbeirrt an und in ihr Ziel. Dermaßen vorbelastet ist es kein Wunder, dass Arturos erstes Wort später nicht 'Mama' oder 'Papa' lautet, sondern 'Mafia'.

 

Die Idee, das große Trauma Italiens mit unbedarften Kinderaugen zu betrachten, mag zunächst ungewöhnlich erscheinen, ist letztendlich jedoch konsequent: Arturo stellt die Art von Fragen, die Erwachsenen oftmals unbequem sind, die sie in Verlegenheit bringen und denen sie deshalb lieber ausweichen. Die Relevanz der ständig stattfindenden Morde wird unter den Teppich gekehrt, der Einfluss der Mafia kleingeredet, die Existenz der großen Bosse sogar geleugnet. Der Titel passt dazu wie die Faust aufs Auge und ist die Antwort von Arturos Vater auf die Frage, wie hoch die Wahrscheinlichkeit wäre, selbst Opfer eines Anschlags zu werden. Sehr gering sei sie, denn: "Die Mafia mordet nur im Sommer." Eine weitere Erklärung für die sich so zahlreich stapelnden Leichen - nämlich die, der Tod treffe nur diejenigen, die sich in jemanden verliebt hätten - leitet über zum zweiten Schwerpunkt der Geschichte, denn Diliberto hüllte das ernste Thema von Mord und Totschlag in den publikumswirksamen Mantel eines Liebesdreiecks, erzählt vor dem Hintergrund einer "My Girl"igen Fabel über das Erwachsenwerden.

 

Dass diese letztendlich jedoch nur wenig berührt, liegt in erster Linie daran, dass Arturos Angebetete Flora (gewiss versehentlich) reichlich unsympathisch gezeichnet wurde und es daher nicht nachvollziehbar erscheint, warum dessen Herz dermaßen für sie entflammt, dass er selbst Jahrzehnte später immer noch noch von ihr besessen ist. Denn tatsächlich wird, wenn nach gut 50 Minuten Laufzeit ein Zeitsprung erfolgt und Arturos Geschichte im Erwachsenenalter fortgesetzt wird, das Thema wieder aufgegriffen und in einer nur geringfügig überzeugenden Romantikkomödie zu Ende geführt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt schwindet das Publikumsinteresse vollends, zumal nun auch auf das erfrischend natürliche Spiel der Kinderdarsteller verzichtet werden muss und es Schwierigkeiten bereitet, in den älteren Figuren die jüngeren vom Beginn wiederzuerkennen. Zudem scheint Diliberto hier sein eigentliches Thema aus den Augen verloren zu haben und versteift sich in teils alberne Belanglosigkeiten, die der noch vielversprechenden ersten Hälfte seiner Arbeit nicht mehr gerecht werden.

 

Thematisch ist "Die Mafia mordet nur im Sommer" stark auf italienische Befindlichkeiten zugeschnitten. So erscheint nicht nur Arturos Manie für den damaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti für das deutsche Publikum ein wenig befremdlich (sein Kostümfest-Auftritt als eben jener ist als Gag zudem misslungen und wirkt eher peinlich berührend), auch die Namen der historischen Persönlichkeiten, denen er im Laufe der Handlung über den Weg läuft, dürften hierzulande überwiegend unbekannt sein. Diliberto verbindet Fakten und Fiktion und vermengt in bewährter "Forrest Gump"-Manier dokumentarisches Bildmaterial mit nachgestelltem (in welches er Arturo zum Teil auch integrierte), um den Ereignissen einen realen Anstrich zu geben. Völlig konträr dazu inszenierte er dann jedoch auch wieder Szenen, die eher in eine gewöhnliche Gangsterklamotte passen würden und Mafiaboss Totò Riina als dümmliche Witzfigur präsentieren, die nicht mal mit einer simplen Fernbedienung zurande kommt. Auch die schwarzhumorigen Gespräche der Mafiosi, die nebenbei mal völlig selbstverständlich beschließen, den Vater einer jungen Dame abzumurksen, da deren Eltern dann nicht mehr in Scheidung leben würden und die Frau damit wieder frei wäre für die Ehe, dienen natürlich dazu, die Organisation und ihre Mitglieder lächerlich zu machen, passen aber in ihrer lockeren Art nicht zum ansonsten vorherrschenden Grundton - geschweige denn, zu den authentisch wirkenden Bildern verstümmelter Mafia-Opfer.

 

Dilibertos eindeutig autobiographisch gefärbtes Debüt ist somit letzten Endes zwar gut gemeint, aber nicht wirklich gut geworden (was es allerdings nicht davon abhielt, 2014 den European Film Award für die beste Komödie abzustauben). 'Coming of Age'-Geschichte, politisches Statement, Gangster- und Liebeskomödie - "Die Mafia mordet nur im Sommer" möchte alles zugleich sein, bringt seine Zutaten jedoch nicht zufriedenstellend unter einen Hut. Dem Werk mangelt es entschieden an Witz und Spannung, so dass es letztendlich trotz spürbaren Engagements ernüchternd belanglos bleibt - auch wenn einen der unerwartet bewegende Schluss, eine wahrlich aufrichtige Ehrerbietung an alle im Kampf gegen die Mafia Getöteten, dann doch wieder ein wenig versöhnlich stimmen kann.

 

gesehen von Boris Bertram

 

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