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Der Kaufmann von Venedig

Daten

Der Kaufmann von Venedig

138 min., USA 2004

REGIE: Michael Radford
DREHBUCH: Michael Radford
KAMERA: Benoit Delhomme
SCHNITT: Lucia Zucchetti
KOSTÜME: Sammy Sheldon

DARSTELLER: Al Pacino, Jeremy Irons, Joseph Fiennes, Lynn Collins

 

Regie: Michael Radford

Kinostart: 21. April 2005

Schon wieder eine Shakespeareverfilmung, denkt man sich- und bekommt fast schon Entzugserscheinungen, weil Kenneth Brannagh ausnahmsweise nicht mit von der Partie ist. Dafür liefern sich zwei großartige Schauspieler, Al Pacino und Jeremy Irons, ein packendes Spielduell in den Wasserstraßen Venedigs.

Die Geschichte ist bekannt: Im Venedig des 16. Jahrhunderts leben Juden abgeschottet im Ghetto und verdienen sich ihr Geld mit überteuerten Krediten. Über Jahre gedemütigt von Antonio (Jeremy Irons) und den übrigen Kaufleuten, sieht der Jude Shylock (Al Pacino) seine Chance auf Rache gekommen, als Antonio bei ihm einen Schuldschein unterzeichnet, der es seinem Freund Bassiano (Joseph Fiennes) ermöglichen soll, um die Hand der hübschen und reichen Portia (Lynn Collins) anzuhalten. Die Bedingung: wenn es Antonio nicht möglich ist, innerhalb von drei Monaten das Geld zurückzuzahlen, bekommt Shylock ein Pfund Fleisch von dessen Körper. Antonio willigt ein, da er mehrere Handelsschiffe erwartet, durch die er wieder liquide wird. Shylocks Tochter, gehalten wie eine Gefangene, hat sich inzwischen zur Flucht mit Kasse und Liebhaber entschlossen. Während Bassiano erfolgreich um Portia wirbt, verhärten sich in Venedig die Fronten. Antonios Schiffe sind verunglückt, er kann das Geld nicht zurückzahlen. Da Shylock über den Verlust von Geld und Tochter verbittert ist, dringt er auf die Einhaltung des Vertrags. Schleunigst kehrt Bassiano nach Venedig zurück, doch die letzte Rettung für Antonio scheint ein junger Rechtsgelehrter aus Rom zu sein, der nicht nur über Shylock Gericht hält.

Man glaubt in der Umsetzung von Michael Radford, in das Venedig des 16. Jahrhunderts einzutauchen, was zum Teil auch daran liegt, dass an Originalschauplätzen gedreht werden konnte. Das Flair und Gesellschaftsleben werden lebendig, man fühlt sich an Gemälde dieser Zeit erinnert. Auch die Tatsache, dass Prostituierte verpflichtet waren, barbusig herumzulaufen, wird vom Regisseur dankbar aufgegriffen. Eine mutige Entscheidung ist, das Stück einerseits in seiner Zeit zu belassen und andererseits Form und Sprache an heutige Gegebenheiten anzupassen. Shakespeares Verse werden nicht ehrfürchtig deklamiert und behalten doch ihre Würde; der unversöhnliche Hass des Juden wird nicht aus dem Text erklärt, sondern erschließt sich aus schön gefilmten Bildern, die den gesellschaftlichen Kontext jener Zeit wiederspiegeln. Insofern schafft es der Film, einen filmisch modernen Ansatz zu finden und dabei der Vorlage treu zu bleiben.

Al Pacinos Shylock ist kein Monster; man empfindet Mitleid mit ihm, da man versteht, was ihn zu seinem Rachebedürfnis treibt. Assoziationen mit der Radikalisierung der muslimischen Welt drängen sich auf, wenn Shylock die selbstgerechten Christen anklagt: wer andere Menschen aufgrund ihrer Religion demütigt, hat den Hass selbst gesät. Jeremy Irons versteht es prächtig, die Überheblichkeit und Aufopferung Antonios gleichermaßen glaubwürdig zu vermitteln. Beide leisten (gewohnt) Großartiges. Auch Joseph Fiennes, der etwas bisexuell bedackelt dreinblicken darf, und Lynn Collins wirken in ihren Rollen sehr überzeugend; besonders letzterer nimmt man die selbstbewusste Frau, gegen die selbst gestandene Männer wie Schulbuben wirken, gerne ab.
Das erklärte Ziel des Regisseurs war es, den Eindruck eines abgefilmten Theaterstücks zu vermeiden und eine überzeugende Kinoversion zu schaffen. Ein interessanter Ansatz, den er leider nicht durchgängig umsetzen konnte. Die Gerichtsszene zum Schluss wirkt halt doch eher wie eine verfilmte Theaterszene, wobei die etwas schlampig instruierte Komparsentruppe ihren Teil beiträgt.
Der Thematik des Antisemitismus, die vermutlich dazu geführt hat, dass das Stück zwar oft für Theater, aber (außer zu Stummfilmzeiten) nie für die Leinwand inszeniert wurde, nimmt Michael Radford mit einer kleinen, eleganten Szene den Wind aus den Segeln. Er benutzt die in der Handlung zwischen den Liebespaaren vorhandene Ringsymbolik, um zu zeigen, warum der Jude Shylock zum Schluss wie ein streunender Hund in den Gassen Venedigs endet: nicht wegen seines Glaubens wird er bestraft, sondern weil er seiner Tochter nicht vertraut hat, die das Pfand des Vaters niemals aus der Hand gegeben hätte. Ein einfacher Trick, aber er funktioniert.
Diese Verfilmung ist sehr sehenswert, wartet mit prächtiger Ausstattung auf und unterhält auch ein breiteres Publikum bestens, ohne dabei die Grundhaltung des Stücks anzutasten.

 

Gesehen von Johannes Prokop

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